Eberswalde
Arbeiten, wo andere Urlaub machen: 1a autoservice Werkstatt im Landkreis Barnim
Text und Fotos: H. Malguth

Unser Redaktionsteam ist diesmal im äußersten Osten der Republik unterwegs. Das Ziel lautet Eberswalde und liegt knapp 60 km nordöstlich von Berlin sowie eine halbe Autostunde westlich der polnischen Grenze. Auch ohne regionalen Reiseführer erkennen wir das große Potenzial dieses Landstrichs als Urlaubsidylle: Wir kommen an zahlreichen Badeseen vorbei, darunter auch dem Werbellinsee, und einer ganzen Reihe gepflegter Campingplätze. Dazu Wälder, soweit das Auge reicht. Auch das Display unserer Navi präsentiert sich komplett in Grün eingefärbt. Aufgrund einer langwierigen Brückensperrung erreichen wir Eberswalde schließlich auf Umwegen und mit einer gewissen Verspätung. An der Eberswalder Straße empfängt uns unser Gastgeber daher bereits vor der Tür seines herausgeputzten 1a autoservice Werkstattbetriebs.
Herr Oesterling, das ist hier ja keine Gegend zum Arbeiten, sondern vielmehr für die Freizeit…

Das haben schon zahlreiche Obrigkeiten in früheren Jahren – angefangen von Bismarck bis hin zu den einstigen Größen des NS- oder DDR Regimes – für sich entdeckt. Schon damals hat man damit begonnen, sich die reizvollsten Anwesen für seine Zwecke zu sichern.
Sie erfahren hier einerseits Hauptstadtflair, weil sie in 45 Minuten den Alexanderplatz erreichen, auf der anderen Seite liegt die Mecklenburgische Seenplatte nur wenige Kilometer in nördlicher Richtung von hier entfernt. Und in zwei Stunden erreichen sie die Ostseestrände – das verdeutlicht die zentrale Lage. Was die Infrastruktur anbelangt, hat man sich sehr spät darauf besonnen, mehr auf den Tourismus, statt auf die Industrieansiedlungen zu setzen. Dadurch ist hier wertvolle Zeit verloren gegangen.

Zumal wir uns glücklich schätzen können, dass wir der Eiszeit die zahlreichen Moränen verdanken, aus denen die vielen Seen entstanden sind, die heute Trinkwasserqualität aufweisen. Diese Entwicklung hat naturgemäß auch wieder zwei Seiten: Aktuell entdecken die Berliner diese Region für sich, und da muss man jetzt mal schauen, wohin die Reise geht – auch in Hinblick auf die Bau- und Grundstückspreise.
Wie und wann haben Sie dieses Paradies für sich entdeckt?
Ich bin 1990 hierher gekommen, eigentlich stamme ich aus Darmstadt. Zur damaligen »Goldgräberzeit« unmittelbar nach der Wende, habe ich hier vor allem Autos verkauft und für Mitsubishi und Peugeot entsprechende Promotionshows organisiert. Als ich dann auch noch meine heutige Frau hier kennengelernt habe, gab es für mich keinen Grund mehr, nach Hessen zurückzukehren.


Wann haben Sie den Entschluss gefasst, sich eine eigene Existenz aufzubauen?
Das war 1993. Ich war zwar noch ein junger Bengel mit meinen Mitte 20, aber verfügte eben doch schon über ein gewisses Erfahrungspotenzial. Außerdem kannte ich viele namhafte Größen aus der Automobilbranche. Das eröffnete mir dann eine gute Startbasis. So gehörte
ich auch 1999 zu den Gründungsmitgliedern von 1a autoservice.
Heute führe ich mein Unternehmen mit gewissen Grundtugenden:
Um erfolgreich zu sein, müssen Sie narzistisch sein, in gewisser Hinsicht auch ein Selbstdarsteller und ein Träumer, aber auf jeden Fall ein festes Ziel verfolgen – und: Sie müssen als Unternehmer auch ein gutes Herz haben!


Wie schnell haben Sie sich in dieser Region integriert?
Das ging seinerzeit eigentlich relativ schnell und problemlos: Mir kam zugute, dass hier noch alles wie zu Ostzeiten ablief und sowieso sehr viel in Bewegung war – auch die Bevölkerungsströme. Da war ich dann letztendlich nur einer unter vielen. So habe ich mich auch gleich von Beginn an politisch engagiert, habe viele Kontakte im Sportverein geknüpft. Seit Mitte der 90er Jahre führe ich diesen Verein mit 500 Mitgliedern, habe eine repräsentative Sportanlage bauen lassen und zahle auf diese Weise auch einiges an Vertrauen zurück.
Ich bin hier mittlerweile längst angekommen in dieser tollen Region – und da spreche ich auch für meine Frau und die Kinder.


Für einen 40.000-Einwohner-Ort besitzt Eberswalde ja durchaus einen klangvollen Namen…
Da sagen Sie was: Hier wird noch immer mit die meiste Wurst in Ostdeutschland produziert und Kräne aus Eberswalde finden Sie heute in nahezu jedem Hafen der Welt. Derzeit betreibt Eberswalde die beinahe einzigen O-Busse (Busse, die von einer elektrischen Oberleitung ihre Energie beziehen) in ganz Deutschland und ist damit nun unversehens zum Aushängeschild für die Energiewende geworden.
Sie firmieren ja noch an einer zweiten Adresse an derselben Straße. Wie ist es dazu gekommen?
Also – eigentlich gibt es sogar noch eine dritte Adresse, wo wir heute unser Reifenlager unterhalten – übrigens auch in dieser Straße. Dort steht auch die ursprüngliche Wiege meines Unternehmens. Es handelt sich um ein altes Backsteingebäude, das einst einer Papierfabrik gehörte. Das habe ich dann später gekauft und so nach und nach um weitere benachbarte Grundstücke erweitert. Auch dieses Areal, auf dem wir uns hier jetzt befinden, zählt dazu. Es stand fünfzehn Jahre lang leer, und in die Gebäude regnete es hinein, bevor ich mich dem Komplex angenommen habe, um das daraus zu machen, was Sie hier heute sehen.
Davor habe ich aber noch eine größere Immobilie mit verschiedenen Verbrauchermärkten gekauft und dort meinen Gebrauchtwagenhandel mit angeschlossener 1a autoservice Werkstatt etabliert. So gibt es uns heute also in zweifacher Ausführung, aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Trotzdem wird es zunehmend schwieriger, wirklich Geld zu verdienen.


Die Werteskala insgesamt verschiebt sich ja auch in einem Maße, das sich mittlerweile kaum ein Betrieb davor schützen kann…
Exakt! Nehmen Sie hier doch mal die klassische Kfz-Werkstatt: Früher gab es noch den gedruckten Katalog, den Katechismus eines jedes Mechanikers. Da stand alles drin, was man für den Beruf wissen musste. Heute können die jungen Leute doch kein Ersatzteil mehr zuordnen und einbauen, ohne das entsprechende You-Tube-Video aufzurufen. Es greift ja auch kaum noch jemand zu einem Buch. Das Handy sagt einem ja in Sekundenbruchteilen, was man wissen und machen muss. Ich erkenne diese »Entwicklung« ja parallel in meiner Familie: Wenn ich meinem Sohn heute erzähle, dass Berlin 4,2 Mio.Einwohner hat, schaut der erstmal bei Google, ob das stimmt.

Daraus schließe ich, dass die aufkommende Elektromobilität dieser jungen Generation entgegenkommt. Da gibt‘s nicht mehr viel zu reparieren, und die Fehlersuche ist simpel: Wenn der Motor nicht läuft, liegt‘s am Motor, und wenn der Motor gar nichts von sich gibt, muss man die Ursache bei der Batterie suchen...


Apropos: Wie steht‘s in Ihrem Betrieb um die Elektromobilität – über Ihren E-Scooter hinaus?
Die ersten Ladestationen sind bereits bestellt, aber deshalb werden wir hier jetzt nicht mehr Kundschaft bekommen. Das ist in den Großstädten ein ganz anderes Thema. Da finden Sie mittlerweile überall Möglichkeiten, Strom zu tanken. Glauben Sie denn, dass unser hiesiger Pflegedienst mit seinen vier E-Mobilen glücklich ist? Die Fahrstrecken zu den einzelnen Bedürftigen sind so weit, dass sich die Pflegedienstkräfte Sorgen machen müssen, ob sie abends mit der restlichen Akkuladung überhaupt noch nach Hause kommen. Das ist doch die Alltagsrealität in Bezug zu diesem Thema.
Vielen Dank, Herr Oesterling, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben.